Internationales Forum: „75 Jahre der Tragödie und des Heldentums des Minsker Ghettos“

Am 23. Oktober fand in der IBB J. Rau Minsk das internationale Forum „75 Jahre der Tragödie und des Heldentums des Minsker Ghettos: Probleme und Perspektiven der Bewahrung des Andenkens an den Holocaust in Belarus“ statt.

An der Veranstaltung nahmen etwa hundert Menschen teil: Diplomaten aus verschiedenen Ländern, Vertreter des Bildungsministeriums und des Kulturministeriums, bekannte Historiker, Lehrer, ehemalige Gefangene der Ghettos und der Konzentrationslager.

Das Minsker Ghetto war eines der größten in Europa während des Zweiten Weltkrieges. Darin wurden etwa 100 tausend Menschen ermordet. Die Nazis mordeten erbarmungslos nicht nur die Minsker Juden, sondern auch die aus den Städten Deutschlands, Österreichs und Tschechiens deportierten Juden. Die Geschichte des Minsker Ghettos ist eine zweijährige Geschichte von unglaublichem Leid der Menschen von Kälte, Hunger, grauenvollen Pogromen und Massenvernichtungen.

Am 21.-23. Oktober wurde das Minsker Ghetto endgültig aufgelöst. 75 Jahre sind seither vergangen, aber die Erinnerung an seine Opfer bleibt erhalten und wird von engagierten Menschen sorgsam aufbewahrt. Um noch einmal an dies schreckliche Seite der Geschichte zu erinnern, wurde auch dieses internationale Forum durchgeführt. Die Veranstaltung wurde gemeinsam vom Dortmunder IBB e.V., der IBB J. Rau Minsk, dem Verband belarussischer jüdischer  gesellschaftlicher Vereinigungen und Gemeinden, der Geschichtswerkstatt Leonid Lewin mit Unterstützung der Evangelischen Kirche Westfalens organisiert.

Ihre Grußworte sprachen der Botschafter des Staates Israel in der Republik Belarus Alon Shogam, der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland Peter Dittmar, der Leiter der Eurasien-1-Abteilung im Außenministerium Israels Jakow Livne, der Direktor des Goethe-Instituts in Minsk Jakob Racek. Von der belarussischen Seite sprachen ihre Grußworte der Leiter der Hauptverwaltung für ideologische Arbeit und Jugendfragen im Minsker Stadtrat Sergej Schendrik sowie der Leiter der Hauptverwaltung für erzieherische Arbeit und Jugendpolitik im Bildungsministerium der Republik Belarus Eduard Tomiltschik. Im Namen der ehemaligen Gefangenen des Minsker Ghettos hielt Davis Taubkin eine emotional geladene Ansprache. Als Teenager überlebte er im Ghetto und behielt in seinem Gedächtnis das ganze Schrecken jener Tage.

In der Plenarsitzung des Forums gab Dr. phil Nati Сantorovich eine Übersicht über die modernen Tendenzen der Forschung israelischer Wissenschaftler zum Thema Holocaust in Belarus. Seine Erklärungen ergänzte Dr. phil Emmanuil Joffe, der über die wenig bekannte Seiten der Geschichte des Minsker Ghettos, insbesondere über den illegalen Widerstand im Ghetto berichtete. Er bemerkte, es gebe bis heute keine belarussischen Historiker, die an grundlegenden Monographien zum Thema arbeiteten.

Galina Lewina hob in ihrer Ansprache das Problem und die Perspektiven der Memorialisierung des Holocaust in Belarus hervor. Sie schlug vor, die Angaben zu den Vernichtungsorten sowie den sich auf diesen Orten befindenden Gedenkmalen zu systematisieren. Dr. phil Inna Gerassimowa setzte in ihrem Vortrag „Bewahrung des Andenkens an den Holocaust in Belarus: wie und für wen (zur Problemstellung)“ dieses Thema fort und unterstützte den Vorschlag von G. Lewina. Sie betonte die positive Veränderung der Situation in den letzten 10-15 Jahren, verwies jedoch auf die Notwendigkeit der Einbringung der Information über die Holocaust-Opfer in den städtischen Raum, wo die meisten der Opfer vor dem Krieg gewohnt haben. Sie bemerkte auch, dass die Memorialisierung behutsam gehandhabt werden muss, indem man die Spezifik des jüdischen Erbes in Belarus berücksichtigt.

Nach der Plenarsitzung wurde die Arbeit des Forums in den Sektionen fortgesetzt, in denen die aktuellen Fragen der Wahrung des Andenkens an die Shoah in Belarus, die Perspektiven und die neuen Tendenzen bei der Erforschung der Geschichte des Minsker Ghettos und des Holocaust auf dem belarussischen Territorium besprochen wurden. Erörtert wurden auch die Fragen der Nutzung der Forschungsergebnisse in der Bildungsarbeit und in der Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen und Museen.

Die Forumsteilnehmer betonten die Notwendigkeit eines komplexen und verantwortungsvollen Herangehens an die Erforschung des Themas Holocaust in Belarus. Besondere Aufmerksamkeit soll dem Schicksal der Opfer gewidmet werden. Zum Zweck der Sensibilisierung der jungen Generation sei es wichtig, die Interviews der noch lebenden Zeitzeugen aufzunehmen. Für einen zentralisierten Zugang der Interessenten soll ein offizielles Koordinierungszentrum zu Holocaust-Geschichte in Belarus gegründet werden, wo die Information zum Thema dauernd systematisiert und vervollständigt wird.

Im Bereich der Bildung hängt vieles von der Aktivität und der Kompetenz des Lehrers und Ausbilders ab. Gleichzeitig darf eine solche Richtung wie die museale Pädagogik nicht vernachlässigt werden: die gemeinsame Arbeit der Lehrer mit den Museumsmitarbeitern soll ihnen helfen, mit den Jugendlichen „in das Thema einzutauchen“, indem man, zum Beispiel, einen solchen Blickwinkel nützt wie „Die Holocaust-Geschichte mit den Augen eines Kindes“, „Bekannte Einheimische jüdischer Herkunft“ u.ä.

In Sachen Memorialisierung bleiben noch sehr viele Lücken unausgefüllt: es fehlt an Dokumenten, Zeitzeugen, es treten Fehler bei der Lokalisierung auf. Als Folge werden die Mahnmale manchmal nicht auf authentischen geschichtlichen Orten aufgestellt. Es mangelt an Experten, die helfen würden, diese Fehler zu beheben. Nichtsdestoweniger gibt es Perspektiven – die Aktivisten kämpfen dafür, dass in den Gedenkstätten alle Opfergruppen erwähnt werden, dass die Konzeptionen der Museen moderner entwickelt werden und die Geschichte der Juden in Belarus als einen unabdingbaren Teil der belarussischen Geschichte in sich einschließen.

Als  Ergebnis aller Diskussionen wurde zum Abschluss des Forums eine Resolution angenommen, die eine Art Handlungsprogramm für verschiedene staatliche Organe darstellt. Sie enthält Vorschläge zur Verbesserung der Situation mit dem Gedenken an die Holocaust-Opfer, mit der Bildung der Jugendlichen zu diesem Thema, mit dessen Präsenz in den Museen und in der Arbeit von wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich mit der Geschichtsthematik beschäftigen. Demnächst wird das Dokument in die zuständigen Behörden verschickt werden.

Nach dem Forum beteiligten sich dessen Teilnehmer an der Präsentation der englischsprachigen Version des Buches „Wir erinnern uns! Unser Vermächtnis für die Welt: Erinnert Euch“, in dem die Erinnerungen ehemaliger Gefangenen des Minsker Ghettos veröffentlicht sind. Dank der Übersetzung ins Englische werden diese Erinnerungen in einem breiteren Informationsraum zugänglich sein.

 

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