75 Jahre Befreiung des Vernichtungslagers Osaritschi

Vom 18. bis zum 20. März 2019 fanden in Belarus Gedenkveranstaltungen anlässlich der Befreiung des Vernichtungslagers Osaritschi statt, die von der IBB J. Rau Minsk, der Geschichtswerkstatt Leonid Lewin in Kooperation mit der Nichtregierungsorganisation „Verständigung“ organisiert wurden.

Im März 1944 richtete die Wehrmacht an der vorderen Frontlinie in einer Sumpfgegend in der Nähe der Dörfer Osaritschi, Dert und Podossinnik drei Konzentrationslager ein. In der Zeit vom 12. bis 16. März hatten die deutschen Besatzer dort etwa 50 Tausend alte Menschen, Kleinkinder, Frauen, Behinderte und an Typhus Erkrankte zusammengetrieben. Bis zur Befreiung der Lager durch die 65. Armee der 1. Belarussischen Front am 17. März 1944 kamen hier von 9000 bis 13000 Menschen ums Leben, die sich hier unter freiem Himmel ohne Wasser und Nahrung befanden. Dieser geplante Massenmord an Menschen durch Fleckfieber, Hunger und Kälte gilt als eines der schwersten Verbrechen der Wehrmacht gegenüber der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg.

Die Gedenkveranstaltungen begannen am 18. März mit einer Pressekonferenz in der Nationalen Bibliothek der Republik Belarus unter Beteiligung der Organisatoren, Historiker und des ehemaligen Osaritschi-Internierten Arkadij Schkuran, eines der Autoren des Buches „Poljesse: Tragödie und Erinnerung“.

Die Ansprachen wurden von dem Botschafter der BRD in der Republik Belarus Peter Dettmar, dem stellvertretenden Leiter der Hauptverwaltung für multilaterale Diplomatie, Verwaltungsleiter für globale Politik und humanitäre Zusammenarbeit im belarussischen Außenministerium Alexander Opimach, dem Vorstandsleiter der Nichtregierungsorganisation „Verständigung“ Anshelika Anoschko und der Geschäftsführerin der IBB gGmbH Dortmund Astrid Sahm gehalten.  

Über die Geschichte des Vernichtungslagers Osaritschi und seine Bedeutung für die Erinnerungskultur in Deutschland erzählten der Professor Dr. Christoph Rass (Universität Osnabrück) und der wissenschaftliche Mitarbeiter der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ Adam Kerpel-Fronius. Den Anwesenden wurde auch das neue Buch des Historikers Michail Sinkevich und des Überlebenden des Vernichtungslagers Osaritschi Arkadij Schkuran präsentiert.

Die Ausstellungsmodule über das Todeslager Osaritschi mit den Biographien der Gefangenen, die die Wanderausstellung „Vernichtungsort Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ ergänzten, stellte der Referent der Geschichtswerkstatt Alexander Dalhouski vor. Die Ausstellung ist in der Nationalen Bibliothek bis zum 31. März 2019 zu besichtigen. Am 1. April wird sie in der Staatlichen F. Skorina-Universität in Gomel eröffnet.

Am 19. Mai gedachte man der Tragödie während eines Gedenkmeetings auf dem Territorium der Gedenkstätte Osaritschi im Beisein von Überlebenden, offiziellen Persönlichkeiten, Jugendlichen und engagierter Öffentlichkeit. Die Gedenkveranstaltung wurde im Haus der Kultur des Dorfes Krjukowitschi fortgesetzt, wo den Anwesenden das Buch „Poljesse: Tragödie und Erinnerung“ präsentiert und der deutsche Dokumentarfilm „Osaritschi 1944“ vorgeführt wurde, der in diesem Jahr ins Russische übersetzt worden war.

In der Zeit von 2003 bis 2005 untersuchten die Studenten und die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Rhein-Westfälischen technischen Universität (RWTH Aachen) die  Ursachen und Tatsachen der Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht in Belarus in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Als Ergebnis dieses Projektes, das in Kooperation mit der Mitarbeitern der Universität Köln und den Studenten und Professoren der belarussischen staatlichen Universität (Minsk) realisiert wurde, entstand dieser Dokumentarfilm. Die Analyse umfangreicher Archivmaterialien, Interviews mit den Zeitzeugen der Verbrechen sowie die Untersuchungen am Ort der Geschehnisse ermöglichten eine genaue Rekonstruktion der Zwangsvertreibung von etwa 50 Tausend Zivilbevölkerung ins Todeslager Osaritschi durch die Wehrmachtangehörigen im Frühjahr 1944. Im Film wird dieses in Deutschland wenig bekannte Kriegsverbrechen ausführlich beleuchtet. Er gibt die Möglichkeit, sich die schreckliche Erfahrung der Opfer und die Handlungen der Täter zu vergegenwärtigen.

Am 20. März fand im Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges im Rahmen einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung anlässlich der Befreiung des Vernichtungslagers Osaritschi die Eröffnung einer provisorischen Ausstellung „Osaritschi: Tragödie der Zivilbevölkerung von Belarus“ statt. Die Grundlage der Ausstellung bildeten die Fotos der Kriegskorrespondenten, die am 18.-19. März 1944 gemacht worden waren, Frontzeitungen, Flugblätter sowie die Erinnerungen der Überlebenden von Osaritschi und der Militärärzte.  

Nach der Eröffnung der Ausstellung fand eine öffentliche Vorführung des Dokumentarfilms des deutschen Historikers und Regisseurs Christoph Rass „Osaritschi 1944“ statt. Nach der Präsentation wurden der Filmautor, die Osaritschi-Überlebenden Walentina Schischlo, Arkadij Schkuran, Anatolij Weras sowie der führende wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilungsleiterin des Museums Natalja Jatskewitsch zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Die Diskussion moderierte der stellvertretende Direktor der Geschichtswerkstatt Alexander Dalhouski.

Die Besprechung des Dokumentarfilms verlief sehr emotional und berührte viele Fragen: man sprach über die Fähigkeit der Überwindung traumatischer Vergangenheit und ihre Integration in die eigene Lebenserfahrung, über die Bedeutung der Erinnerung an die Kriegsgeschehnisse für die Jugendlichen sowie über die Projekte, die zur Aufbewahrung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg beitragen. In den Ansprachen vieler Überlebender war Bitterkeit aufgrund der Tatsache zu spüren, dass die Ereignisse im Vernichtungslager Osaritschi lange Zeit vergessen, die Überlebenden aufgegeben waren und ihre Probleme alleine bewältigen mussten.

 

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