Warum eine Geschichtswerkstatt in Minsk

Eines der größten Ghettos in der nationalsozialistisch besetzten Sowjetunion befand sich in Minsk. Dort, und im nahe gelegenen Vernichtungslager Trostenez, wurden Tausende Juden aus Minsk und Umgebung, Deutschland und Mitteleuropa umgebracht. In Trostenez wurden auch sowjetische Kriegsgefangene, Gefängnisinsassen, Widerstandskämpfer und nicht-jüdische Zivilisten ermordet.

Die Geschichte des Ghettos Minsk und des Vernichtungslagers Trostenez ist in Deutschland wie in Belarus über Jahrzehnte hinweg vergessen worden. In der deutschen Erinnerungskultur spielten das systematische Morden und die Tatorte in der besetzten Sowjetunion kaum eine Rolle. Die UdSSR galt als ein Ort des Krieges, als Ort der Vernichtung wurde vor allem Polen erinnert. Und so blieb lange Zeit verborgen, dass etwa das Ghetto Minsk und das Lager Trostenez auch Endstation für tausende Juden aus dam Gebiet des Deutschen Reiches war, wie z.B. aus Hamburg, Bremen, Düsseldorf, Köln, Bonn, Frankfurt, Berlin, Wien, Brünn.

Im sowjetischen Belarus wiederum ließen die offizielle Heldengeschichte des Zweiten Weltkrieges, erzählt als heroischer Kampf des belarussischen Volkes und  der Partisanen gegen die deutsch-faschistischen Invasoren, sowie ein latenter Antisemitismus keinen Raum für das das Gedenken an die Verfolgung und Vernichtung der belarussischen Juden. Auf dem Gelände des Ghettos Minsk erinnerte nur ein kleiner Obelisk an das Leiden und Sterben der Juden. Überlebende hatten ihn 1946 an der „Jama“ (Grube) im ehemaligen Ghetto errichten lassen, wo tausende Juden ums Leben gekommen waren.

In den 1990-er Jahren, nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, gab es in beiden Ländern erste Initiativen, die Geschichte des Ghettos und des Lagers Trostenez öffentlich zu machen. Die Städte Hamburg, Bremen und Düsseldorf errichteten auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof  Gedenksteine für ihre ermordeten Mitbürger. Das Denkmal der „Jama“ wurde neu gestaltet und durch eine Figurenkomposition von Leonid Lewin, dem Architekten der Chatyn-Gedenkstätte, erweitert.  Die Mitglieder von Opferverbänden sowie Historiker und Interessierte aus beiden Ländern begannen, die Geschichte des Ghettos und des Lagers zu erforschen.

In dieser Situation haben sich das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund, der Verband der jüdischen Gemeinden in Belarus und die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte Minsk dazu entschlossen, in einem der letzten noch erhaltenen Gebäude des ehemaligen Ghettos eine Geschichtswerkstatt aufzubauen. Als Stätte der Erinnerung, der historisch-politischen Bildung und der Forschung bietet sie seit 2003 Raum für alle, denen die Aufarbeitung der Geschichte des Minsker Ghettos, des Lagers Trostenez und anderer Tatorte der NS-Verbrechen in Belarus ein Anliegen ist. Sie eröffnet Interessierten, Zeitzeugen und Wissenschaftlern aus Belarus, Deutschland und anderen Ländern die Möglichkeit, miteinander in Dialog zu treten, die eigene Sicht auf die Geschichte aus anderen Perspektiven zu prüfen und Vorurteile abzubauen. Ein solcher gemeinsam verantworteter Umgang mit Geschichte ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung für eine Verständigung und Versöhnung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern Deutschland und Belarus. Er ist auch ein Schritt zum Erlernen einer grenzüberschreitenden Erinnerungskultur des Holocaust und des  Zweiten Weltkriegs.