Jugendseminar zur Erinnerungskultur in Belarus

Am 7. - 12. Mai fand in der Geschichtswerkstatt ein einzigartiges Seminar über die Erinnerungskultur in Belarus für die Jugendlichen aus drei Ländern (Belarus, Deutschland und Polen) statt, an dem über 40 Jugendliche teilnahmen. Gleich fünf Sprachen wurden zu den Arbeitssprachen des Seminars: Belarussisch, Russisch, Deutsch, Polnisch und Englisch. Gerade die letzte Sprache wurde am häufigsten in der Kommunikation der Seminarteilnehmer gebraucht. Dieses Seminar wurde zum zweiten Seminar im Projekt „Der Zweite Weltkrieg und Holocaust in den Erinnerungskulturen in Polen, Belarus und Deutschland“, das solche Erinnerungsorte wie Auschwitz, Trostenez, Dachau beinhaltet und bereits das zweite Jahr andauert.

In der Hauptdiskussion ging es um die heutigen Probleme der Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust, um die bedeutenden Erinnerungsorte in Belarus. Da das Seminar auf den 9. Mai fiel, wurden in sein Programm Veranstaltungen zum Siegestag mit aufgenommen.

Einige Einzelheiten zum Seminarprogramm.

Am 7. Mai, zum Auftakt des Seminars, sprach der belarussische Direktor der IBB J. Rau Minsk Viktor Balakirew über die Tätigkeit dieses belarussisch-deutschen Gemeinschaftsunternehmens. Die Leiterin der Geschichtswerkstatt Irina Kaschteljan erzählte über das Programm des Seminars. Juliana Niklas, Vertreterin des Bayrischen Jugendrates, gestaltete die Vorstellungsrunde mithilfe eines interaktiven Spiels. Im Vergleich zum ersten Seminar gab es einige neue Teilnehmer, deshalb war diese Vorstellungsrunde sehr wichtig. Danach berichteten die Teilnehmer über ihre Erwartungen an das Seminar und gaben somit eine gute Orientierung für dessen Organisatoren.

Der 8. Mai wurde dem Thema Trostenez gewidmet. Die Teilnehmer besuchten alle Orte der Gedenkstätte – die Scheune, Schaschklowka, Malyj Trostenez und Blagowschtschina. In Blagowschtschina konnten sie die Bauarbeiten des zweiten Abschnittes der Gedenkstätte sehen, der am 29. Juni eröffnet wird. Die Führung durch das Territorium der Gedenkstätte übernahmen die Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt Alexander Dalhouski und Kusma Kosak, die alle zum Teil komplizierten Fragen der Teilnehmer fachmännisch beantworten konnten.

Danach waren die Teilnehmer des Seminars Gäste in der Mittelschule in Trostenez, in deren Museum seit den 70er Jahren das Andenken an die Opfer des größten Vernichtungsortes von Belarus in Ehren bewahrt wird. Die Direktorin der Schule Lilija Filimonowa, die Geschichtslehrerin Galina Pilajewa und die Schüler führten die Gäste durch die Säle des Museums und erzählten über ihre Erfolge in der Forschungs- und Gedenkarbeit.

An demselben Tag besuchten die Seminarteilnehmer die Kirche Aller Heiligen in Minsk und deren Krypta zu Ehren aller Opfer, die ihr Leben für das Vaterland hingegeben hatten. Der Seminartag endete mit einer aktiven Reflexion in Form eines World Cafés.

Am 9. Mai nach der Exkursion auf dem Territorium des ehemaligen Minsker Ghettos beteiligten sich die Seminarteilnehmer an den Veranstaltungen auf dem Siegesplatz und am Ehrenmal „Jama“. In der zweiten Tageshälfte hielt Irina Kaschteljan einen kleinen Vortrag über Oral History. Danach trafen sich die deutsche, polnische und belarussische Gruppen mit den Zeitzeugen: dem ehemaligen Gefangenen des Minsker Ghettos Jakob Krawtschinski (Geburtsjahr 1935), dem ehemaligen Kriegsgefangenen Boris Popow (Geburtsjahr 1922) und der ehemaligen Ostarbeiterin Elvina Simakowa (Geburtsjahr 1926). Anschließend bereiteten die Gruppen die Portraits der Zeitzeugen vor, mit denen sie gesprochen hatten, und stellten diese einander vor. Für die meisten Teilnehmer war es die erste hinreißende Erfahrung eines Oral-Histopry-Interviews. Am Abend eines warmen Frühlingstages hatten die ausländischen Teilnehmer die Möglichkeit, sich in Begleitung der belarussischen Freunde mit der Stadt Minsk und seinem Abendleben bekannt zu machen und sogar die Ehrensalve zu bewundern.

Am 10. Mai besuchten die Teilnehmer die Stadt Nowogrudok. Dank der Führung durch Tamara Werschitskaja und Galina Kowaltschuk machten sich die Besucher mit der jüdischen Geschichte dieser kleinen Stadt  und dem jüdischen Widerstandsmuseum bekannt. Im Dorf Tschereschlja, an der wiederhergestellten Übergangsstelle der Partisanen, hörten sich die Teilnehmer mit großem Interesse (trotz erbittertem Kampf gegen hiesige Mücken) einer interessanten Erzählung über die jüdischen Partisanengruppen zu. Auf dem Rückweg zeigte man den ausländischen Gästen unseren Stolz – das Schloss in Mir.

Am Abend erwartete die bereits müden, jedoch interessierten Teilnehmer eine geschlossene Vorführung des vor kurzem in Deutschland präsentierten Dokumentarfilms „Ich, Andrej Iwanowitsch“ über den letzten belarussischen Gefangenen des KZs Buchenwald Andrej Moissejenko. Dieser Film gewährte den Einblick in das Leben der ehemaligen NS-Opfer und darin, was sie bewegt und für sie wichtig ist.

Der 11. Mai war der letzte und der inhaltsreichste Seminartag. Endlich konnten die belarussischen Teilnehmer ihre Kollegen mit den vorbereiteten Präsentationen in vier Blöcken bekannt machen:

  1. Historische Einleitung: über verschiedene Kriege (D. Kowaltschuk), Kriegsalltag (A. Gatsewitsch), Frauen- und Kinderschicksale (O. Lissjuk);
  2. Probleme der allgemeinen Erinnerungskultur in Deutschland (A. Dudartschik) und in Polen (W. Makarenko);
  3. Erinnerungskultur an den Krieg und Holocaust am Beispiel belarussischer Gedenkstätten (T. Gaiduk) und in der Ausbildung (D. Kossjakowa);
  4. Forschungen – soziologische Forschung darüber, welche Assoziationen der zweite Weltkrieg bei den jungen Belarussen hervorruft (J. Lyssenko), sowie ein Video von Interviews der Freiwilligen unterschiedlicher Gedenkstätten darüber, warum die Museen und die Gedenkstätten eben so aussehen (W. Dragin, N. Schidlowskaja)

Diesen Tag moderierte Kusma Kosak, der darauf aufpasste, dass jeder zu Worte kommt. Die aktive Diskussion zeigte ein großes Interesse der Teilnehmer am Thema des Seminars. Die Blockform der Arbeit ermöglichte es, die Besprechung kompakter zu gestalten, damit die Teilnehmer es noch schaffen konnten, das für die Aufarbeitung des Themas wichtige Museum des Großen Vaterländischen Krieges zu besuchen. Nach der Exkursion im Museum gab es in den internationalen Gruppen eine Auswertung des Seminars in Form eines Interviews. Trotz des umfangreichen Programms und einer gewissen Müdigkeit wegen Mangel an Freizeit war die Stimmung aller Teilnehmer sehr positiv, und das Seminar war von allen als nützlich und wissenswert eingeschätzt. Der Beweis dafür waren eine aktive Beteiligung an den Diskussionen und zahlreiche Fragen von allen Vertretern aus drei Ländern.

Am nächsten Tag reisten die polnische und die deutsche Gruppen ab. Sie sind alle gut zu Hause angekommen.

Die nächste Etappe des Projektes wird ein Seminar für dieselben Teilnehmer am 15.-20. Oktober in Dachau (Deutschland) sein. Alle warten mit Ungeduld auf die Fortsetzung des Seminars, und im Sommer wird man an den Essais für eine gemeinsame Publikation darüber arbeiten, mit welchen Problemen man sich bei der Pflege der Erinnerungskultur vom Standpunkt der Jugendlichen befassen und worauf man in der historischen Forschung achten muss.   

 

 

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