Europäische Erfahrung im Unterricht zum Thema Holocaust

Das Thema Holocaust ist bis jetzt ins Lehrprogramm zur Geschichte von Belarus nicht aufgenommen worden. Dieser Terminus fehlt überhaupt in den Schulbüchern. Den Shoa-Opfern wird von der offiziellen Seite nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl diese Kategorie ein Drittel aller auf dem belarussischen Territorium umgekommenen Menschen im  Zweiten Weltkrieg ausmacht. Einzelne Lehrer-Enthusiasten versuchen, die Situation zu verändern, und suchen nach Informationen über die modernen Unterrichtsmethoden des Themas Holocaust. Das eröffnet ihnen neue Perspektiven im Bereich der Bildung belarussischer Jugendlichen zu diesem Thema.

Um den Lehrern dabei zu helfen und sie zusätzlich zu dieser wichtigen Arbeit zu motivieren, wurde beschlossen, ein internationales Seminar unter dem Titel „Die Revision der Unterrichtspädagogik von Holocaust“ zu organisieren. Das Seminar, dessen Organisatoren die Geschichtswerkstatt Leonid Lewin und die Gedenkstätte Shoa in Paris (Memorial de la Shoah) wurden, fand  am 11. -13. Juni in der internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte J. Rau Minsk  statt. Am Seminar, das von Bruno Boe und Irina Kaschtelan moderiert wurde, nahmen etwa 40 Geschichtslehrer und Museumsmitarbeiter aus verschiedenen Regionen von Belarus teil.

Die Veranstaltung begann mit der Begrüßung von Seiten des diplomatischen Chors – die Leiterin der EU-Vertretung in Belarus Andrea Wiktorin, die außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter des Staates Israel, der BRD und der Republik Frankreich in Belarus Alon Shoham, Peter Dettmar und Didier Canesse unterstrichen die Wichtigkeit dieses Themas für die Bewahrung der europäischen Erinnerungskultur und die Vorbeugung ähnlicher schrecklicher Ereignisse in der Zukunft. In seinem Grußwort würdigte der Direktor der IBB J. Rau Viktor Balakirew die in diesem Bereich bereits geleistete Arbeit und äußerte den Wunsch, dass sie auf einem qualitativ neuen und aktualisierten Niveau gemeinsam fortgesetzt wird.

Dann begann für die belarussischen Lehrer eine aktive Seminararbeit. Im Laufe von drei Tagen studierten sie die europäischen Erfahrungen im Holocaust-Unterricht, die sowohl einen geschichtlichen, als auch einen modernen Hintergrund hatten. Fachleute aus Frankreich, England, Polen und Belarus vermittelten den Teilnehmern ihre Kenntnisse.

Zu den Themen „Antisemitische Behauptungen: von der Nazipropaganda bis zur Digitalepoche“ und „Verschwörungstheorien: wie soll man sie bei den Jugendlichen dekonstruieren?“ referierte Hubert Strouk (Mémorial de la Shoah (Frankreich). Die Teilnehmer konnten sich mit den Methoden bekanntmachen, wie man mit den Schülern die antisemitische Propaganda behandeln muss, die im Internet vorkommt, wie man fremdenfeindliche Mythen, auf die die Schüler stoßen können, dekonstruieren kann.

Sein Kollege Thomas Shopard (École des Hautes Études en Sciences Sociales (Frankreich) berichtete über die Mythen vom jüdischen Bolschewismus (Judäo-Bolschewismus), die im Russischen Imperium gängig waren, sowie darüber, wie sich das Verhalten zu den Juden in den Zeiten der Sowjetmacht änderte, darunter auch im Kontext der von Stalin durchgeführten Politik der Repressalien.

Arthur Chapman (University College London, Institute of Education, Centre for Holocaust Education (TBC) (Großbritannien) und Patricia Tcherneva-Rowland (Projekt „Worte in Aktion“, OSCE-Büro für demokratische Institute und Menschenrechte (Polen) führten ein Workshop durch, das der internationalen Erfahrung im Kampf gegen den Antisemitismus durch Bildung gewidmet war. Belarussische Multiplikatoren hatten ebenfalls die Möglichkeit, ihre Erfahrungen, Erfolge und Probleme in diesem Bereich auszutauschen.

Tal Bruttmann aus École des Hautes Études en Sciences Sociales (Frankreich) berichtete ausführlich über die allgemeine Geschichte des Holocaust in Europa. Sein Referat wurde durch die Berichte belarussischer Fachleute Alexej Litwin (Nationale Akademie der Wissenschaften) und Jewgenij Rosenblatt (Staatliche Universität Brest) über die Besonderheiten der Genozid-Politik der Nazi in Belarus sowie über die Beteiligung der Juden an der Partisanenbewegung ergänzt.

Im Laufe des Seminars besuchten dessen Teilnehmer die wichtigsten Gedenkorte von Minsk, die mit dem Thema Holocaust verbunden sind, - das Territorium des ehemaligen Minsker Ghettos und die Gedenkstätten in Malyj Trostenez und Blagowschtschina.

So bekamen die belarussischen Lehrer und Museumsmitarbeiter die Möglichkeit, in kurzer Zeit die Perspektiven und Herausforderungen im Unterricht des Themas Holocaust in verschiedenen Ländern zu lernen und zu vergleichen. Sie konnten sich auf die modernen Tendenzen in der historischen Bildung konzentrieren und die Antworten auf komplizierte Fachfragen bekommen.

Es wird geplant, die Bekanntschaft mit der Arbeit der Gedenkstätte Shoa (Memorial de la Shoah) im Bestand derselben Gruppe Ende 2019, diesmal in Frankreich, fortzusetzen. Und die Multiplikatorengruppe der Geschichtswerkstatt wird auch weiterhin, ähnliche Veranstaltungen organisieren, damit alle Interessenten in Belarus die Möglichkeit haben, neue Informationen zu diesem Thema zu bekommen.

 

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